Strom

Der flexible Strompreis ist noch fern

An der Strombörse gibt es heftige Preisschwankungen. Wenn es abwärts geht, haben Verbraucher bisher jedoch wenig davon. Das könnten dynamische Stromtarife ändern. Es gibt aber noch viele Hindernisse.
01.07.2020

Flexibels Verbraucherverhalten sollte sich finanziell lohnen, allerdings ist das rein über ein marktbasiertes System nicht möglich.

Für viele Autofahrer ist es schon lange Gewohnheit: Den Benzin- oder Dieselpreis über eine App checken und tanken, wenn es günstig ist. Auch beim Strom könnte so etwas möglich werden. Denn Einsparpotenzial ist da, der Preis an der Strombörse schwankt erheblich. Bisweilen ist so viel Strom im Angebot, dass der Verkäufer noch Geld drauflegen muss, um ihn loszuwerden. Allein von Januar bis Mai hat es nach Zahlen der Bundesnetzagentur bereits mehr als 200 Stunden mit solchen Negativpreisen gegeben, schon fast genauso viele wie im gesamten vergangenen Jahr.

Derzeit haben die allermeisten Haushalte in Deutschland aber noch Stromtarife mit einem festen Preis, egal wann sie ihn verbrauchen. Das soll sich nach dem Willen der EU ändern. In einer Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt wird gefordert, dass die Verbraucher «Zugang zu Verträgen mit dynamischen Stromtarifen» bekommen. Das sind Tarife, bei denen der Strompreis flexibel an das jeweilige Stromangebot und den Stromverbrauch angepasst wird.

Start-up ermöglicht Verbrauch nach Börsenpreisen

Solche dynamischen Tarife sollen es möglich machen, den Strom gezielt dann zu verbrauchen, wenn er günstig ist. Doch noch ist viel Zukunftsmusik dabei. «Auch wenn bereits einige Stadtwerke in Pilotprojekten ihren Kunden flexible Strompreise anbieten, stehen wir hier am Anfang der Entwicklung», sagt ein Sprecher des VKU. Denn die für die stundengenaue Abrechnung notwendigen intelligenten Stromzähler, die sogenannten Smart Meter, seien erst ganz vereinzelt in den Haushalten eingebaut.

Als Vorreiter von flexiblen Strompreisen sieht sich das Berliner Unternehmen Awattar, die Tochter eines österreichischen Grünstromanbieters. Awattar bietet eine genaue Abrechnung des Verbrauchs zu Börsenpreisen – mit sinkenden Kosten je mehr Sonnen- und Windenergie im Netz ist. «Immer mehr sind das nicht nur die Nachtstunden, sondern eben auch die windigen und sonnigen Stunden», sagt der Deutschland-Chef des Start-ups, Simon Schmitz.

Kosteneinsparung gering

Ein Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 3000 kWh, der zudem ein Elektroauto an der heimischen Wallbox lade, könne so 100 Euro und mehr im Jahr sparen. Über eine Datenschnittstelle könnten Geräte und Anlagen erfahren, wann der Strompreis am nächsten Tag besonders günstig ist und sich dann automatisch einschalten, verspricht Awattar. Das erlaube es, «Tüftlern und Entwicklern ihre eigenen Ideen für die Energiewende und günstigere Preise zu entwickeln». Eine vierstellige Kundenzahl hat das Unternehmen nach Angaben von Schmitz bislang gewinnen können.

Verbraucherschützer warnen allerdings vor zu großen Sparerwartungen. Für Neukunden mit geringem Stromverbrauch mache es durch die höhere Grundgebühr des Smart Meters vermutlich keinen Sinn, zu einem solchen Tarif zu wechseln, schätzt Udo Sieverding, Energieexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. «Für Kunden mit höherem Verbrauch, die bereits einen Smart Meter haben, kann das aber durchaus auch wirtschaftlich sein.»

Zurückhaltung in der Branche

An der Strombörse gehe es nicht aber nicht immer nur nach unten, warnt Sieverding. «Was ist, wenn die Börsenpreise über mehrere Monate stark steigen? Dann klebe ich in der Vertragslaufzeit.» Der Awattar-Tarif ist allerdings monatlich kündbar.

Die großen Stromversorger sind momentan noch zurückhaltend bei dynamischen Verträgen. Viele Kunden wünschten sich weiter Planungs- und Versorgungssicherheit beim Strom, heißt es beim größten deutschen Stromverkäufer Eon. «Deshalb wollen wir flexible Tarife anbieten, die leicht nachvollziehbar sind und insbesondere nicht unkontrolliert schwanken.»

Steuern, Abgaben, Netzentgelte sind die Stellschrauben

Der VKU sieht momentan nur ein begrenztes Einsparpotenzial durch flexible Tarife. «Nach Untersuchungen des VKU liegt es bei circa 20 Euro pro Jahr», sagt der Sprecher. Der Grund für die noch geringen Sparmöglichkeiten ist die Struktur des Strompreises. Von den durchschnittlich gut 31 Cent, die eine Kilowattstunde Anfang des Jahres gekostet hat, entfallen nur knapp acht Cent auf Beschaffung, Vertrieb und Gewinnmarge des Versorgers. Drei Viertel des Endpreises machen Steuern, Abgaben und Netzentgelte aus.

Spürbar sinkende Strompreise könne es nur geben, wenn die Verbraucher auch bei den Netzkosten von der Flexibilisierung des Verbrauchs profitierten, fordert daher der Verbraucherzentrale-Bundesverband. «Wenn Sie ihr Elektroauto nachts laden und somit das Netz entlasten, muss sich das auch positiv auf ihre Stromrechnung auswirken», hat der Chef der Verbraucherorganisation, Klaus Müller, gesagt. Das müsse die Bundesregierung bei der geplanten Reform der Netzentgelte berücksichtigen. (dpa/ls)