Strom

DIW-Kohlereader: Nutzen wägt Kosten des Kohleausstiegs auf

Der Kohleausstieg ist nicht nur klimapolitisch sinnvoll, sondern fälllt auch wirtschaftlich weniger ins Gewicht als ein Weiterbetrieb der Tagebaue und Kraftwerke. Eine Studie des DIW klärt auf.
05.10.2018

Das Doppelblock-Braunkohlekraftwerk Lippendorf südlich von Leipzig mit je 920 MW installierter elektrischer und mit bis zu 330 MW thermischer Leistung: Schon 2023 wollen die Leipziger hier komplett aussteigen.

Es wurde schon fast jedes Für und Wider rund um die Kohleverstromung analysiert und diskutiert. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das Ecologic Institut und das Wuppertaler Institut haben sämtliche Studien und Forschungsergebnisse rund um die Kohle nun in einem „Kohlereader“ zusammengefasst.

Die zentrale Erkenntnis: „Der Nutzen eines Kohleausstiegs übersteigt bei weitem die Kosten – auch, weil der Kohleausstieg neue wirtschaftliche Chancen eröffnet“, erklärt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW. In der Diskussion um die konventionelle Energie werden oft die steigenden Börsenstrompreise als Folge für Industrie und Privatverbraucher ins Feld geführt. Der Kohlereader bestätigt dieses Risiko – allerdings nur kurzfristig. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Kohleausstieg den Börsenstrompreis bis ins Jahr 2040 um 0,18 Cent pro kWh steigen lässt. Bleibt die Kohle weiterhin am Markt, würde der Preis ebenfalls auf ein Niveau von 7,59 Cent pro kWh steigen.

Sozialverträglichkeit kostet im Extremfall über 158 Mio. Euro jährlich

Für Verbraucher, die nicht von der EEG-Umlage befreit sind, würde ein Aus des Kohlestroms kaum ins Gewicht fallen, da die Umlage mit steigenden Börsenpreise fällt. So dämpft der Rückgang der EEG-Umlage mögliche Strompreiseffekte um zirka 50 Prozent. Ziemlich drastisch wirken auf den ersten Blick die möglichen Sozialplankosten für betriebsbedingte Kündigungen.

Die Gewerkschaft Verdi hat die Kosten für ein Extremszenario berechnen lassen. Wenn alle in Deutschland beschäftigten Kraftwerksangestellten keine neue Anstellung bis zu ihrem Renteneintritt finden und ihr bisheriges Gehalt inklusive Tariferhöhungen weiterhin gezahlt bekommen würden, würde das 158 Mio. Euro jährlich bis 2050 kosten. Da allerdings ein Großteil der Beschäftigten bis zum endgültigen Ausstieg in den Ruhestand gehen, wird der Sozialplan in der Realität weitaus weniger kosten.

Weniger Umsiedlungen

Kommunale Anteilseigner der großen Kohlekonzerne, wie RWE oder Steag, könnte der Abschied von der Kohle allerdings empfindlich treffen. Dividendenausfälle und Wertabschreibungen sind genauso wie Steuerausfälle erwartbar.

Doch nun zu den Vorteilen des Kohleausstiegs: In den vergangenen Jahrzehnten mussten rund 120 000 Menschen aufgrund von Braunkohletagebauen umgesiedelt werden, künftig könnte das allein im Rheinland für über 5000 Menschen vermieden werden. Allerdings nur, wenn Tagebaue wie Grazweiler II und/ oder Hambach verkleinert werden. Auch die Umwelt- und Gesundheitskosten würden auf einen Schlag deutlich reduziert.

46 Mrd. Euro pro Jahr für Umweltkosten

Allein im Jahr 2016 kostet die Kohleverstromung für Umweltmaßnahmen rund 46 Mrd. Euro. Nur ein Bruchteil dieser Summe ist bereits durch den Emissionshandel und Energiesteuer abgedeckt, denn über die Hälfte der Quecksilber-Emissionen und ein Großteil der Schwefeldioxid-Emissionen stammt aus Kohleschloten.

Ein Kohleausstieg birgt also für Mensch, Natur und die Wirtschaft Potenziale, allerdings empfehlen die Studienautoren eine Stilllegung der Kraftwerke nach einer fixen Reihenfolge. Festgelegte Stilllegungsdaten und jährliche Produktionsobergrenzen würden Planungssicherheit für alle Akteure geben. (ls)