Strom

Homann räumt Verzögerungen bei Netzausbau ein

Der Bundesnetzagentur-Chef gibt zu, dass das Land "bei einer Reihe von Leitungen" nicht im Plan sei. VKU-Hauptgeschäftsführerin Reiche fordert die Politik zum Handeln auf.
14.08.2018

Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, wäre beim Ausbau des deutschen Stromnetzes gern schneller vorangekommen. «Es ist schon richtig, dass wir bei einer Reihe von Leitungen nicht im Zeitplan liegen», sagte Homann dem Radiosender Bayern 2. «Das betrifft insbesondere Leitungen, die schon 2009 sozusagen in Gang gebracht worden sind. Da gibt es Rückstände.» In anderen Bereichen seien sie jedoch «durchaus im Plan». «Aber insgesamt gilt sicherlich, dass der Netzausbau nicht so schnell vorankommt, wie wir uns das wünschen würden.» Nach aktuellen Zahlen der Bundesnetzagentur sind von erforderlichen 7700 Kilometern beim Netzausbau derzeit 1750 Kilometer genehmigt und nur 950 realisiert. Dabei geht es neben neuen Stromleitungen auch um Projekte zur Verstärkung bestehender Netze.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier stellt am Dienstag in Bonn zusammen mit der Bundesnetzagentur einen Aktionsplan für einen schnelleren Ausbau der Stromnetze vor. Es ist der Auftakt einer dreitägigen Reise des CDU-Politikers mit Stationen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Er besucht Kraftwerke, Leitungen und Erdkabel-Baustellen und führt Bürgerdialoge.

VKU: Unnötige Kosten für Stromkunden

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) hat die Politik angesichts des schleppenden Ausbaus der Stromnetze im Zuge der Energiewende zum Handeln aufgefordert. Ziel müsse es sein, weitere Staus auf den Stromautobahnen und unnötige Kosten für die Stromkunden zu vermeiden, sagte VKU-Hauptgeschäftsführerin Katherina Reiche der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Durch das Hoch- und Herunterfahren von Kraftwerken sowie die Abregelung von Erneuerbaren (Energien) müssen Bürger und Wirtschaft Kosten von mittlerweile mehr als einer Milliarde Euro über ihre Stromrechnung bezahlen.» Denn für beides gibt es quasi Entschädigungen, und die Kosten dafür werden über die Netzsentgelte auf den Strompreis umgelegt.

Reiche sagte, ein Lösungsansatz zur Reduzierung der Kosten liege in den Stromverteilnetzen vor Ort. In den Verteilnetzen sei es mit dem Einsatz von Informationstechnologie schon jetzt möglich, die verstopften Stromautobahnen zu entlasten. Zudem könnten die Verteilnetze künftig einen steigenden Anteil des erneuerbaren Stroms in größeren Regionen bereits vor Ort verteilen oder dezentral, beispielsweise in Wärmenetzen, speichern. «Die Maßnahmen von Verteilnetzbetreibern, um ihre Netze optimal auszulasten und die Übertragungsnetze zu entlasten, müssen in der politischen Diskussion stärker in den Mittelpunkt treten sowie rechtlich und regulatorisch anerkannt werden», so Reiche. Zudem brauche es an der Schnittstelle zwischen Übertragungsnetzbetreibern und Verteilnetzbetreibern klare Verantwortlichkeiten und die zügige gesetzliche Verankerung der Einheit von Aufgabe, Verantwortung und Entscheidungshoheit des jeweiligen Netzbetreibers. 

Stromnetze sind das Herz-Kreislauf-System unserer Stromversorgung

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier schlägt heute den ‚Aktionsplan Stromnetz‘ vor. Damit werde den Netzausbau deutlich beschleunigt und bestehende Netze optimiert. Im Herbst soll das Netzausbeschleunigungsgesetz zum ‚NABEG 2.0‘ novelliert werden. Damit werden die Planungsverfahren verschlankt. Der ‚Aktionsplan Stromnetz‘ verfolge eine Doppelstrategie: Der Netzausbau wird durch besseres Controlling und die Vereinfachung von Planungsverfahren beschleunigt. Gleichzeitig werden mit neuen Technologien und Betriebskonzepten die Bestandsnetze optimiert. So können beispielsweise Leiterseile eingesetzt werden, die höhere Temperaturen und Ströme aushalten, oder auch spezielle Transformatoren, die den Strom auf noch freie Leitungen umlenken.

"Für eine erfolgreiche Energiewende brauchen wir moderne und gut ausgebaute Netze genauso wie den Ausbau erneuerbarer Energien", erläuterte Altmaier. Die Stromnetze seien dabei das Herz-Kreislauf-System unserer Stromversorgung.

BDEW vermisst konkrete Zeitpläne

Stefan Kapferer, Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), begrüßt die Maßnahmen, gibt aber zu bedenken: „Was ich im Aktionsplan allerdings schmerzlich vermisse, sind konkrete und belastbare Zeitpläne für die Umsetzung dieser Maßnahmen. Was wir brauchen, ist nicht nur Tempo beim Netzausbau, sondern auch bei der Gesetzgebung.“

Ähnlich argumentiert Johann Saathoff, Energie-Experte der SPD: "Der Aktionsplatz Stromnetz fasst viele Maßnahmen aus dem Stromnetzbereich zusammen, die schon seit längerer Zeit diskutiert werden. Dass Minister Altmaier jetzt aber erstmal einen Aktionsplan vorlegt und ein Gesetzgebungsverfahren für den Herbst ankündigt, bedeutet leider schon eine mehrmonatige Verzögerung und damit hunderte Millionen Netzengpasskosten zusätzlich. Ich hoffe, dass wir dieses Gesetz schnell beschließen können, denn die CDU/CSU-Bundestagsfraktion blockiert noch immer das erste energiepolitische Gesetzgebungsvorhaben dieser Periode, das sogenannte 100-Tage-Gesetz."

Linnemann: Der Netzausbau bestimmt das Tempo des Erneuerbaren-Ausbaus

Die Union begrüßt den Aktionsplan. Vizefraktionsvorsitzender Carsten Linnemann: „Der Netzausbau bestimmt letztlich das Tempo des Erneuerbaren-Ausbaus. Wenn Erneuerbaren-Strom aus dem Norden des Landes wegen fehlender Stromtrassen nicht in die großen Verbraucherzentren im Südwesten gelangen kann, die momentan noch zu einem guten Teil mit Strom aus Kernkraftwerken versorgt werden, wird letztlich die Energiewende insgesamt gefährdet." Auch bei der Förderung der Erneuerbaren müsse viel stärker auf die Netzsituation eingegangen werden. "Die bisherigen Instrumente zur Netzverträglichkeit der Erneuerbaren wie beispielsweise die sogenannten Netzausbaugebiete und die Verteilernetzkomponente sind bei ehrlicher Betrachtung vor allem viel Bürokratie mit wenig Effekt.“

Der wirtschafts- und energiepolitischen Sprechers, Joachim Pfeiffer, weist auf eine bessere Netz- und Systemintegration hin: "Es darf nicht mehr passieren, dass beispielsweise neu errichtete Windräder wegen fehlender Leitungen zum Abtransport des Stroms stillstehen, und trotzdem teuer auf Kosten der Stromverbraucher vergütet werden." Zudem gelte es, die Bundesländer beim Thema Stromnetze stärker in die Pflicht zu nehmen. "Die Länder hinken bei einigen Projekten um Jahre hinterher. Von 1800 Kilometern sogenannten EnLAG-Projekten in Länderverantwortung sind erst 800 Kilometer realisiert. Man kann aber nicht vom Bund mehr Erneuerbare fordern, ohne gleichzeitig beim Stromleitungsbau der eigenen Verantwortung gerecht zu werden.“

Grüne: Altmaier bewegt sich auf dünnem Eis

Für die Grünen kommentierte Ingrid Nestle, Sprecherin für Energiewirtschaft: "Die Bundesregierung hat sich die Maßnahmen auf den Zettel geschrieben, die sie schon seit Jahren hätte umsetzen können und sollen, immerhin ein Fortschritt. Unverständlich ist, dass sie den Ausbau der erneuerbaren Energien mit Verweis auf die Netze aktiv bremst. Minister Altmaier bewegt sich hier auf glattem Eis, denn der wegen Netzengpässen nicht produzierte erneuerbare Strom beträgt weniger als ein Prozent der deutschen Stromproduktion."

Lorenz Gösta Beutin, Energie- und klimapolitischer Sprecher der Linken, meint: "Eine PR-Offensive zum Thema Netzausbau kann Bundesminister Altmaier sich sparen." Längst hätten sich die Merkel-Regierung schlau machen können, was eigentlich los sei beim Thema Netzausbau. Altmaier sollte endlich runter von der Bremse bei erneuerbaren Energien und auf der Grundlage der Pariser Klimaziele einen wirklich durchdachten Netzausbau mit Augenmaß berechnen lassen. Der angeblich nicht ausreichende Netzausbau werde nämlich fälschlicherweise zum Anlass genommen, den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschränken, nicht aber, um die Produktion von Kohlestrom zu reduzieren. Das sei absurd. (dpa/al)