Strom

Stabiles Netz trotz wenig Wind: 50Hertz und Enertrag starten Pilotprojekt

Die beiden Unternehmen testen, inwiefern es möglich ist, auch in windarmen Zeiten Blindleistung bereitzustellen. Auch PV-Freiflächenanlagen könnten dazu beitragen.
16.06.2023

50Hertz und Enertrag starten ein Pilotprojekt zur Spannungshaltung durch erneuerbare Energien. (Symbolbild)

Der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz und der Betreiber von Erneuerbaren-Anlagen Enertrag haben bei Bertikow in Brandenburg ein gemeinsames Pilotprojekt zur Blindleistungsbereitstellung durch erneuerbare Energien (EE) gestartet. Bei Bertikow sind Windkraft- und andere erneuerbare Erzeugungsanlagen mit einer Gesamtleistung von über 500 MW an das nahe gelegene 50Hertz-Umspannwerk angeschlossen. Sie sollen zukünftig die für die Spannungshaltung und damit Netzstabilität wichtige Blindleistung bereitstellen, auch wenn wenig Windeinspeisung zur Verfügung steht, wie die beiden Unternehmen mitteilen.

Bisher hätten vor allem konventionelle Kraftwerke Blindleistung während ihres Betriebs bereitgestellt. Erneuerbare-Energien-Anlagen müssten nach derzeit geltenden Regelungen in den Zeiten, in denen sie keine oder weniger als zehn Prozent ihrer Wirkleistung bereitstellen, keine Blindleistung liefern. Dies stelle die Stromnetzbetreiber vor die Herausforderung, dass sie in diesen Zeiten zur Spannungshaltung die nötige Blindleistung durch andere technische Anlagen kompensieren müssten, so 50Hertz.

Blindleistung durch PV auch nachts

Moderne Windenergieanlagen seien jedoch technisch in der Lage, Blindleistung zur Verfügung zu stellen, auch wenn nur wenig oder kein Wind wehe. Im Pilotprojekt wollen Enertrag und 50Hertz nun erproben, wie der Blindleistungsabruf technisch in der Praxis funktioniert und vertraglich ausgestaltet werden kann. Auch Photovoltaik-Freiflächenanlagen könnten über ihre Wechselrichter Blindleistung bereitstellen, wenn zum Beispiel nachts keine Sonne scheint, heißt es.

"Die permanente Blindleistungsbereitstellung durch EE-Anlagen ist technologisches und regulatorisches Neuland", sagt Dirk Biermann, Geschäftsführer Märkte und Systembetrieb, 50Hertz. "Von den Erkenntnissen, die wir hier sammeln, profitieren daher auch Netzbetreiber auf der Verteilnetzebene, bei denen der Großteil der EE-Anlagen direkt angeschlossen ist."

Marktmodell für Blindleistung

In dem Pilotprojekt liefrten unterschiedliche Erneuerbaren-Anlagen Blindleistung, um das Übertragungsnetzes zu stabilisieren – auch bei Windstille. "Dies ist gleichzeitig ein Beispiel für unterlagerte Verteilnetze, in denen die technischen Möglichkeiten der Erneuerbaren-Energien-Anlagen noch nicht ausgeschöpft werden", sagt Thorsten Leske, Abteilungsleiter Elektrische Netze, Enertrag. Ein nächster Schritt sei es, ein Marktmodell für die Bereitstellung von Blindleistung zu etablieren.

Blindleistung aus dem Verteilnetz

Über dieses Pilotprojekt hinaus verfolgt 50Hertz nach eigenen Angaben verschiedene Ansätze, um mit immer weniger konventionellen Kraftwerken die erforderlichen Systemdienstleistungen zur Spannungs- und Frequenzhaltung erbringen zu können. In anderen Pilotprojekten wurden etwa mit einem Umrichter der Deutschen Bahn und dem Pumpspeicherwerk Wendefurth Blindleistungsquellen im Verteilnetz mit Wirksamkeit im Höchstspannungsnetz erschlossen.

Im Zuge der Modernisierung der Umspannwerke investiert 50Hertz in den kommenden Jahren in Anlagen zur Blindleistungskompensation, die entweder dynamisch (Static Synchronous Compensator STACOM) oder statisch (Mechanically Switched Capacitor with Damping Network MSCDN oder Drosseln) zur Spannungsregulierung an wichtigen Punkten im Netz beitragen. Zudem hat 50Hertz kürzlich ein neues Tool in Betrieb genommen, um den regionalen Blindleistungsbedarf in der Betriebsplanung abzuschätzen. (jk)