Strom

Studie: 900 Mrd. Euro kostet der Abschied aus Gas und Öl

Um Gas und Öl in die Rente zu schicken, müssten massiv die erneuerbaren Energien ausgebaut werden: Hierfür bräuchte es laut Wyman-Studie bis 2037 rund 900 Mrd. Euro.
13.01.2023

Die Gas- und Öl-Unabhängigkeit bedeutet einen starken Ausbau der erneuerbaren Energien: Die Wyman-Studie beziffert nun die Kosten dafür auf rund 900 Mrd. Euro.

Mit einem massiven Ausbau von Windkraft und Photovoltaik sowie einem leistungsfähigeren Stromnetz kann Deutschland binnen 15 Jahren seine Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen deutlich reduzieren. Die Kosten dafür seien jedoch enorm,  heißt es in einer Mitteilung von Oliver Wyman. Auf rund 900 Mrd. Euro veranschlagt die Studie der Strategieberatung die nötigen Investitionen für die umfassende Elektrifizierung von Gebäudeheizungen sowie des Straßenverkehrs.

„Mehr als 60 Prozent des deutschen Primärenergiebedarfs kommt aktuell aus Einfuhren. Wärme und Mobilität sind die entscheidenden Hebel für den Abschied von Kohle, Öl und Gas“, sagt Jörg Stäglich, Leiter der europäischen Energy & Natural Resources Practice und globaler Leiter des Bereichs Energieversorger bei Oliver Wyman. Stäglich warnt davor, nur auf die Erzeugung zu fokussieren. „Das Verteilnetz in seinem heutigen Zustand stößt bald an seine Grenzen – es droht eine Überlastung mit dem Risiko von Ausfällen auf lokaler Ebene.“

Rund 270 Mrd. Euro in den Netzausbau

Mit 650 Milliarden Euro entfallen gut zwei Drittel der nötigen Investitionen auf den Ausbau der Erzeugungskapazitäten und Speicher, weitere 210 bis 270 Milliarden Euro müssen in die Netze fließen. „Um die Ausbauziele der Bundesregierung zu erreichen, sind bis 2037 fünf bis sieben Mal höhere Investitionen in Windenergie und Photovoltaik nötig als im Schnitt der vergangenen fünf Jahre“, sagt Dennis Manteuffel, Principal in der Energy & Natural Resources Practice von Oliver Wyman.

„Doch selbst damit werden wir den gesamten Bedarf nicht komplett decken können.“ Aber auch in diesem Fall fehlen laut der Studie noch jährlich 30 Terawattstunden (TWh) Strom, da konventionelle Kapazitäten abgebaut werden und der Strombedarf gleichzeitig deutlich steigt – die Lücke entspricht 3,5 Prozent des erwarteten deutschen Gesamtverbrauchs im Jahr 2037. „Da die Erzeugung durch Windkraft und Photovoltaik stark vom Wetter abhängt und damit nicht unbedingt deckungsgleich mit dem Bedarf ist, tritt diese Lücke nicht durchgängig, sondern insbesondere in den Wintermonaten auf“, erläutert Manteuffel. „Auf die aktuelle Abhängigkeit von Gasimporten könnte eine neue Abhängigkeit von Stromimporten folgen.“

Es drohen häufige Engpässe

Die Alternative zu Stromimporten ist teuer, denn dazu müssten Gaskraftwerke bereitstehen. „Selbst wenn die Deckungslücke gering scheint – sie kann zu massiven Problemen führen“, sagt Thomas Fritz, Partner in der Energy & Natural Resources Practice von Oliver Wyman. 450-Mal im Jahr droht laut Studie die Situation, dass 15 Minuten lang nicht genug Energie in Deutschland produziert werden kann. „Während weniger Stunden im Jahr beträgt die Lücke bis zu 60 Gigawatt – das ist die Leistung von 150 durchschnittlichen Gaskraftwerken“, sagt Fritz. Da die Engpässe vor allem punktuell im Winter entstehen, rechne sich der Aufbau eines konventionellen Kraftwerkparks als Backup nicht.

Der Oliver Wyman-Analyse liegt der von der Bundesnetzagentur genehmigte Szenariorahmen für den „Netzentwicklungsplan Strom“ zugrunde, wonach in 15 Jahren etwa 14 Millionen strombetriebene Wärmepumpen Gebäude beheizen und zudem circa 32 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen unterwegs sind. „Um diese Ziele zu erreichen, ist gleichzeitig ein signifikanter Netzausbau notwendig“, sagt Fritz. Allein im Verteilnetz seien dafür 100 bis 135 Milliarden Euro nötig – also jährlich bis zu neun Milliarden Euro. „Das ist mehr als doppelt so viel wie die vier Milliarden Euro, die 2021 investiert wurden.“

Die Herausforderung für den Energiesektor steigt, weil sich Heizen und Mobilität mit immer mehr Wärmepumpen und E-Autos zunehmend in das Stromnetz verlagern. „Die wichtigsten Antworten darauf sind eine intelligente Steuerung und ein konsequentes Lastmanagement“, sagt Fritz.

Politik ist gefragt

„Weiterhin ist es besonders wichtig, dass die Bundesregierung neue regulatorische Anreize für Investitionen setzt und die Genehmigungsverfahren entschlackt und beschleunigt“, ergänzt Oliver Wyman-Experte Stäglich. Zudem sei die Unterstützung seitens der Bevölkerung elementar: „Es geht nicht mehr nur darum, Akzeptanz für neue Windparks in der näheren Umgebung zu schaffen“, sagt Stäglich. „Wenn Solaranlagen etwa im Winter nicht genug Energie produzieren, müssen Ladevorgänge von E-Autos oder Wärmepumpen entsprechend gesteuert werden. Dies kann zum Beispiel durch koordiniertes Laden außerhalb von Spitzenzeiten oder ein Verbot von Schnellladevorgängen erfolgen. Eine Förderung von Off-Grid Charging kann hierbei ebenfalls helfen.“ (gun)