ÖPNV

„Pendeln kann auch Spaß machen“

Viele Berufstätige nutzen das Auto für den Arbeitsweg. Das ISOE untersucht, ob das auch nachhaltiger geht. Dabei lässt sich Zeit gewinnen statt verlieren.
19.07.2023

Mit dem Rad zur Arbeit fahren kann auch Spaß machen.

Trotz Homeoffice pendeln immer mehr Menschen zur Arbeit. Das gilt auch in der stark wachsenden Metropolregion Frankfurt Rhein-Main. Die meisten der etwa 400.000 Pendler und Pendlerinnen nutzen dafür das Auto. Aber geht das auch nachhaltiger? Das hat das ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung in einem regionalen Mobilitätsexperiment untersucht, dem „Pendellabor“.

In diesem Forschungsprojekt haben 40 Personen in zwei hessischen Landkreisen über einen Zeitraum von acht Monaten versucht, ihre Pendelpraxis umzustellen. Sie sind zum Beispiel vom Auto mit Verbrennungsmotor auf ein E-Auto, auf ein E-Bike oder auf den Öffentlichen Personennachverkehr ÖPNV umgestiegen.

Verändert ein Wechsel die Einstellung zum Pendeln?

Luca Nitschke, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim ISOE, erklärt: „Wir haben uns im Experiment vor allem auf drei Aspekte konzentriert. Was braucht es eigentlich, damit Menschen ein anderes Verkehrsmittel für ihren Pendelweg wählen? Welche Voraussetzungen, persönliche wie auch infrastrukturelle, müssen dafür gegeben sein? Und verändert sich möglicherweise die Einstellung zum Pendeln, wenn sie das Verkehrsmittel wechseln?“

Zu allen drei Aspekten habe das Experiment Ergebnisse gebracht. „Pendeln kann auch Spaß machen und als sinnvoll genutzte Zeit wahrgenommen werden“, so Nitschke. Zum Beispiel, weil der Weg zur Arbeit mit dem E-Bike als Sport angesehen wird, der sich gut in den Alltag integrieren lässt. Oder weil die Zeit in der Bahn als Gewinn empfunden wird oder sich bei der Fahrt im E-Auto ein angenehmeres Fahrgefühl einstellt.

Vieles muss neu gerlernt werden

Eine Voraussetzung für den Umstieg sei die Bereitschaft, alltägliche Routinen zu verändern. „Um auf ein anderes Verkehrsmittel umzusteigen, müssen Pendler*innen viele neue Kompetenzen erlernen. Das geht bei so trivialen Dingen los wie der richtigen Kleidung, einer guten Routenfindung oder einer neuen Transportpraxis von Gegenständen auf dem Fahrrad, die vorher im Kofferraum lagen. Oder der Klassiker: das E-Auto strategisch durchdacht laden“. Es sei sehr wichtig, zu verstehen, dass diese Kompetenzen tatsächlich „erlernt“ werden müssen.

Und das Ergebnis? „Das Experiment hat uns tatsächlich auf vielen Ebenen überrascht“, erklärt Nitschke. „Das ging schon bei den vielen Anfragen für die Teilnahme in den beiden hessischen Landkreisen Groß-Gerau und Hochtaunus los.“ Dass fast drei Viertel der Teilnehmenden ihren Pendelalltag dauerhaft umgestaltet haben, „das haben wir im Vorfeld nicht für möglich gehalten“. Nitschke erklärt es sich damit, „dass die neuen Routinen dazu geführt haben, dass das Pendeln für viele Teilnehmende zu etwas Positivem geworden ist.“

Zu den größten Hürden zählt Nitschke die politischen Entscheidungen, die auch auf kommunaler Ebene notwendig sind. Das betrifft vor allem die Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs und für Radwege. In vielen Gemeinden gebe es keine Anbindung an den Schienenverkehr. Busse fahren oft in Schleifen viele Stationen an und seien dadurch deutlich langsamer am Ziel. Hinzu komme, dass der öffentliche Nahverkehr für viele nicht zuverlässig genug ist.

Lücken in der Rad-Infrastruktur

„Wir sehen einen Zuwachs an Radwegen, aber sie entsprechen oft nicht dem Sicherheitsempfinden der Nutzerinnen und Nutzern oder sie sind verschmutzt. Auch das Abstellen von Fahrrädern ist bei weitem nicht flächenmäßig möglich“. Das führe dazu, dass aus Angst vor Diebstahl gleich gar nicht Fahrrad gefahren wird.

Nitschkes Vorschlag: Probeangebote für nachhaltige Pendelalternativen von Kommunen und Arbeitgebern. Dies könne ein Schlüssel für die Entwicklung in die Breite sein. Sie sollten flankiert werden von individuellen Mobilitätsberatungen und einem betrieblichen Mobilitätsmanagement. Schließlich „sollten Supermärkte, Ärzte sowie Bildungs- und Betreuungseinrichtungen möglichst so platziert werden, dass sie auch beim Pendeln ohne Auto gut in den Weg zur Arbeit integriert werden können“. Und natürlich gehe es um einen klugen, vernetzten und flächendeckenden Infrastrukturausbau von Schienen, Rad- und Fußwegen, Abstellanlagen oder E-Zapfsäulen. (wa)