Deutschland

"Das Gasspeichergesetz ist gut gemeint, aber schlecht gemacht"

Ines-Chef Bleschke erklärt im ZfK-Interview, warum die Gasspeicherfüllstände letzten Oktober so niedrig waren und welche Befürchtung er für diesen Sommer hat.
08.04.2022

Sebastian Bleschke, Geschäftsführer von Initiative Energien Speichern (Ines)

Nach dem Bundestag hat am Freitag auch der Bundesrat dem Gasspeichergesetz zugestimmt. Dabei war das Vorhaben in der Energiebranche auf großen Widerspruch gestoßen.

Im Interview mit der ZfK sagt Sebastian Bleschke, Geschäftsführer des Speicherbetreiberverbands Initiative Energien Speichern (Ines): "Das Gasspeichergesetz ist gut gemeint, aber schlecht gemacht". Zudem erklärt er, wie es zur prekären Speichersituation letzten Herbst kam und wie er das Verhalten der Gazprom-Germania-Tochter Astora, Betreiber des größten Gasspeichers Deutschlands, bewertet.

Herr Bleschke, in den Winter 2020/21 waren Deutschlands Gasspeicher noch mit einem aggregierten Speicherfüllstand von 95 Prozent gestartet. Ein Jahr später waren es nur noch 72 Prozent.

Tatsächlich hatten wir zu Beginn der Heizperiode historisch niedrige Füllstände. Wir hatten zuvor aber auch einen ungewöhnlich kalten und langen Winter. Üblicherweise steigen die Füllstände im April wieder. Im vergangenen Jahr wurde im April noch in Summe ausgespeichert. Erst im Mai gingen die Füllstände wieder nach oben. Trotz der ungewöhnlich langen Entleerung der Speicher lagen die Einspeicherungen über den Sommer hinweg nur auf einem sonst üblichen Niveau. Sie haben die starke Entleerung in den ersten Monaten des Jahres also nicht ausgeglichen. In der Folge sind wir mit lediglich 72 Prozent in den Winter gestartet.

Wie erklären Sie sich das?

Für Gasspeicherkunden sind Einspeicherungen unter anderem dann attraktiv, wenn der Gaspreis im Sommer niedriger ist als im darauffolgenden Winter, wenn also der sogenannte Sommer-Winter-Spread positiv ist. Im Sommer letzten Jahres war auch das Gegenteil der Fall. Das Gas war teilweise im Sommer teurer als im Winter. Das ist natürlich eine merkwürdige Situation. Schließlich ist im Winter die Gasnachfrage immer deutlich größer als im Sommer. Eine Erklärung für die aufgetretene Preissituation kann daher eigentlich nur auf der Angebotsseite gefunden werden oder hat Gründe außerhalb von fundamentalen Faktoren. Unstrittig ist, dass dem Markt die sonst übliche Liquidität fehlte. Kurzfristig, also am Spotmarkt, wurde das Gas sehr teuer. Insofern ist es durchaus bemerkenswert, dass wir unter diesen Rahmenbedingungen überhaupt einen Füllstand von 72 Prozent erreichten.

Rätsel gab vor allem Deutschlands größter Gasspeicher im niedersächsischen Rehden auf, der von der Gazprom-Tochter Astora betrieben wird und gut ein Sechstel der Speicherkapazitäten hierzulande stellt. Sein Füllstand blieb den ganzen Sommer über und bis heute bei unter zehn Prozent.

Zweifellos hat Rehden damit den Speicherfüllstand in Deutschland insgesamt gedrückt. Solange der Gasspeicher Rehden bei zehn Prozent steht, kann in Deutschland kein Füllstand über 85 Prozent erreicht werden. Allerdings ist es auch richtig, dass die Füllstände der übrigen Gasspeicher zumindest Mitte November ebenfalls auf einem historisch niedrigen Niveau lagen. Der historische tiefe Füllstand der Gasspeicher in Deutschland insgesamt ist meines Erachtens vor allem auf die Angebotsknappheit zurückzuführen. Es gab schlicht nicht genug Gas im Markt zu angemessenen Preisen, um die Gasspeicher wieder auf das übliche Niveau aufzufüllen.

Branchenexperten machten vor allem den russischen Konzern Gazprom dafür verantwortlich, der seit Herbst trotz großer Nachfrage nicht mehr Gas lieferte als über Langzeitverträge vereinbart. Allerdings blieben physische Gasengpässe auch dank milden Wetters und Maßnahmen des Marktgebietsverantwortlichen THE aus. Trotzdem hat der Bundestag nun mit einem eigenen Gasspeichergesetz reagiert.

Wir verstehen, dass die Politik für den kommenden Winter wieder vollere Gasspeicher gewährleisten will. Angesichts des fürchterlichen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der damit verbundenen Unsicherheiten für die Gasversorgungssicherheit ist eine gute Wintervorsorge das Gebot der Stunde. Wir befürchten aber, dass das vom Bundestag beschlossene Gesetz wie ein Brandbeschleuniger für die marktwirtschaftliche Speichernutzung wirkt. Mit dem Gesetz sollen Speicherkunden dazu verpflichtet werden, Mindestfüllstände zu bestimmten Stichtagen einzuhalten. Das Wirtschaftsministerium unterschätzt dabei aber, dass Speicher derzeit weniger von Versorgern, sondern vor allem von Händlern gebucht werden.

Das heißt?

Händler haben keine Versorgungsverpflichtungen. Sie entscheiden rein nach Preissignalen, wann und wie viel Gas sie ein- und ausspeichern. Jetzt werden ihnen aber für gebuchte Speicherkapazitäten Mindestfüllstandvorgaben gemacht. Das bedeutet, dass sie beispielsweise ab dem 1. Oktober nur noch 20 Prozent der gebuchten Speicherkapazität flexibel einsetzen können. Der Rest muss ja gefüllt sein und ist folglich nicht mehr nutzbar.

Das führt dazu, dass sie kurzfristige Preisschwankungen am Markt nur noch eingeschränkt bewirtschaften können. Erschwerend kommt hinzu, dass der Sommer-Winter-Spread aktuell negativ ist. Wenn den Speichernutzern die Möglichkeit genommen wird, kurzfristige Preisschwankungen zu bewirtschaften, dann wird die Gasspeicherung aktuell zum Verlustgeschäft. Die Politik erreicht so natürlich nicht das eigentliche Ziel, die Gasspeicherung zu erhöhen. Vielmehr werden marktwirtschaftliche Anreize sogar genommen, die ansonsten zur Einspeicherung führen würden.

Die Marktakteure werden das nicht einfach hinnehmen. Sie werden darauf schlicht mit weniger Speicherbuchungen reagieren. Für die Speicherbetreiber bedeutet das bereits jetzt schon, dass sie Speicherkapazitäten kaum noch vermarkten können. Ohne Speicherkunden gibt es natürlich auch keine gefüllten Speicher. In diesem Fall kann nur noch die Trading Hub Europe GmbH, das heißt der Marktgebietsverantwortliche, die Füllstände sicherstellen. Ein Unternehmen, das keine Verantwortung für die Gasversorgung von Letztverbrauchern trägt und mit einem umfänglichen Gashandel bislang eher wenig Erfahrung hat.

Was ist mit Kunden, die bereits Kapazitäten gebucht haben?

Auch hier sind Speicherbetreiber verpflichtet, vertragliche Änderungen vorzunehmen, um die vorgegebenen Mindestfüllstände festzuschreiben. Angesichts der aktuellen Marktlage gehe ich aber nicht davon aus, dass Speicherkunden diesen Änderungen zustimmen werden. Offen ist, ob die Speicherbetreiber die Verträge dann kündigen müssen. Das ist im Gesetz nicht eindeutig geregelt.

Nehmen wir an, die Betreiber müssten Bestandsverträge kündigen.

Dazu muss man wissen, dass diese Verträge oft eine Laufzeit von vielen Jahren haben. Sie bilden die Grundlage, um die Investitionen in Gasspeicher zurückzuverdienen. Diese Verträge sind langfristig geschlossen worden, um Marktrisiken vorzubeugen. Das heißt ganz konkret, dass diese Verträge Investitionen in Gasspeicher gegenüber Marktlagen, wie wir sie aktuell haben, absichern sollen. Wenn die Gasspeicherbetreiber diese Verträge nun kündigen müssten, würden sie fest eingeplante Einnahmen verlieren. Ihnen würde dann ihre Geschäftsgrundlage wegbrechen. Die Politik nimmt in diesem Moment den Gasspeicherbetreibern die Investitionssicherheit. Das ist natürlich auch für weitere Investitionen insbesondere in Wasserstoffspeicher ein verheerendes Signal.

Wie gehen die Betreiber damit um?

Es bestehen große Zweifel, dass die mit dem Gasspeichergesetz verbundenen Eingriffe, insbesondere in die Bestandsverträge, einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten. Wir haben diese Frage bereits von Anwälten substanziell prüfen lassen. Von dieser rechtlichen Unsicherheit abgesehen gibt es große Sorgen, dass die Gasspeicherwirtschaft im Sommer mit juristischen Streitigkeiten zu kämpfen haben werden. Vorstellbar sind Rechtsstreitigkeiten zwischen Speicherkunden und -betreibern sowie zwischen den Behörden und den Betreibern mit Blick auf die Verpflichtungen. All das ist für das eigentliche Ziel, vollere Gasspeicher zu Beginn der Heizperiode zu haben, sicherlich kontraproduktiv. Das Gasspeichergesetz ist letztlich gut gemeint, aber schlecht gemacht.

Welche Gegenvorschläge haben Sie eingebracht?

Wir haben empfohlen, weiter auf die marktwirtschaftliche Nutzung von Speichern zu setzen und zugleich den Marktgebietsverantwortlichen THE zu verpflichten, die gewünschten Füllstände durch Ausschreibung sogenannter Gas-Optionen sicherzustellen. Es besteht ein großer Konsens in der Branche, dem Marktgebietsverantwortlichen dieses Instrument an die Hand zu geben und zur Erreichung der erforderlichen Füllstände einzusetzen. Da er die Mittel hat, sollte er aber eben auch der Verpflichtete sein. Bei guter Ausgestaltung der Gas-Optionen könnte er den Markt gut flankieren.

Damit die Gas-Optionen funktionieren, müsste es aber genügend Marktteilnehmer geben, die bereit sind, an den Auktionen teilzunehmen. Und wenn nicht?

Dann könnte der Marktgebietsverantwortliche selbst Gas beschaffen. Zur Einspeicherung könnte er Kapazitäten verwenden, die Speicherkunden nicht selbst nutzen. Das sieht das neue Gesetz ja bereits vor. Wir haben allerdings für eine Nutzung der Gasspeicher auf unterbrechbarer Basis plädiert. Das heißt: Wenn der eigentliche Bucher seine Speicherkapazitäten nicht nutzt, verliert er nicht gleich sein Nutzungsrecht der Speicherkapazitäten. Der Marktgebietsverantwortliche würde vielmehr den Speicher solange nutzen, bis der bestehende Kunde den Speicher verwenden möchte.

Tut der eigentliche Speicherkunde das über den Winter hinweg nicht mehr, ist das vollkommen problemlos. Sollte der bestehende Kunde doch noch einspeichern wollen, obwohl der Marktgebietsverantwortliche Gas im Speicher lagert, müsste der Marktgebietsverantwortliche wieder raus. Er hat aber die Möglichkeit, das Gas beliebig zwischen allen deutschen Gasspeichern hin- und herzubewegen. Nur wenn alle deutschen Gasspeicher voll sein würden, muss er das zuvor gespeicherte Gas wieder veräußern. Das ist aber wirklich ein Spezialproblem. Ich glaube, derzeit fürchtet keiner, dass wir einen Füllstand von 100 Prozent haben werden, und der Marktgebietsverantwortliche weiß nicht mehr, wohin mit seinem Gas. Dennoch haben wir der Politik für diesen Fall vorgeschlagen, dass einem Speicherkunden, der solch einen Fall bewusst herbeiführt und sich damit missbräuchlich verhält, die Speicherkapazität anlassbezogen und auf Anordnung der Behörde entzogen wird.

In Summe würden unsere Vorschläge verhindern, dass Bestandsverträge angepasst werden müssen und damit die Geschäftsgrundlage von Speicherbetreibern infrage gestellt wird. Wegen solcher Spezialproblem präventiv alle Bestandsverträge in Frage zu stellen ist, wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.

Warum sind Sie mit Ihren Vorschlägen nicht durchgedrungen?

Wir hatten den Eindruck, dass das Gesetz mit ziemlich heißer Nadel gestrickt wurde. Am 4. März fand unser erstes Gespräch mit dem Bundeswirtschaftsministerium dazu statt. Wir mussten mehrfach um ein Gespräch bitten und haben Wochen auf den Termin gewartet. Drei Wochen später wurde das Gesetz im Bundestag in zweiter und dritter Lesung verabschiedet. Es gab weder eine Verbändeanhörung noch eine Ressortabstimmung.

Stattdessen ist der Gesetzentwurf über einen Fraktionsantrag in den Bundestag eingebracht worden. Dabei war die Kritik durchaus erheblich, nicht nur von uns. Andere Verbände, wie beispielsweise der BDEW, VKU, der Händlerverband EFET bis hin zum Bundesverband Erneuerbare Energie, dem BEE, haben sich sehr kritisch zum Gasspeichergesetz zu Wort gemeldet. Die Kritikpunkte der Verbände zeigen, wie vielfältig die Probleme sind.

Gasspeicher stellen beispielsweise in wind- und sonnenarmen Stunden dringend benötigte Flexibilitätsoptionen für den Stromsektor bereit. Ohne eine flexible Bereitstellung des Brennstoffes, könnten Gaskraftwerke schließlich nicht flexibel eingesetzt werden. Der BEE hat nicht umsonst darauf hingewiesen, dass Gasspeicher für die Energiewende von zentraler Bedeutung sind. Das Gesetz schränkt mit seinen strengen Füllstandvorgaben aber auch das in Zukunft massiv ein.

Ein anderes Thema: Der Bundesverband Breko hat den Gashändler Wingas ausgeschlossen, als er noch zum russischen Gazprom-Konzern gehörte und bevor die Bundesnetzagentur die Treuhänderschaft übernahm. Die Wingas-Schwester Astora blieb dagegen Mitglied in Ihrem Verband. Warum eigentlich?

Lassen Sie mich eines vorausschicken: Es ist nicht Aufgabe der Gasspeicherbetreiber, das heißt der Ines-Mitglieder, die Gasspeicher zu befüllen. Über die Nutzung der Speicher entscheiden letztlich die Speicherkunden. Vielmehr sind Gasspeicherbetreiber in Deutschland gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Speicherkapazitäten dem Markt diskriminierungsfrei zur Verfügung zu stellen. Das geschieht in der Regel über Auktionen, an denen jeder Akteur teilnehmen kann.

Speicherbetreiber sind für einen reibungslosen Betrieb der Speicher zuständig. Sie stellen sicher, dass die Speicherkunden ihre vertraglichen Nutzungsrechte ausüben können. All das hat Astora getan.

Und was Rehden betrifft: Da waren – so viel kann man sagen – die Verantwortlichen selbst überrascht, dass Speicherkunden ihre Kapazitäten zwar buchten, sie aber dann nicht nutzten. In der Folge vermarktete Astora sogar im Februar noch unterbrechbares Arbeitsgasvolumen für den März. Wir sehen also bislang keinen Anlass, an einem rechtskonformen Verhalten von Astora zu zweifeln. Vielmehr hat sich das Unternehmen in unserem Verband sehr kooperativ und konstruktiv eingebracht. Das gilt auch für das Thema Gasspeichergesetz. Astora trägt die Position mit, dass der Gesetzgeber Gasspeicherbetreiber dazu verpflichten sollte, dem Marktgebietsverantwortlichen alle deutschen Speicher auf unterbrechbarer Basis zugänglich zu machen. Das gilt natürlich auch für den Gasspeicher Rehden.

Das Interview führten Ariane Mohl und Andreas Baumer

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