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"Die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung ist keine Alternative zum Mieterstrom"

Das Konzept der GGV stelle eine enorme Herausforderung für die ohnehin überlasteten Messstellen- und Verteilnetzbetreiber da, schreibt Solarize in einem Gastbeitrag.
10.05.2024

Lässt sich die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung flächendeckend anwenden?

  • Die Autoren: Anna Gruner und Lukas Böhm von Solarize.

Die lokale Stromerzeugung und Vermarktung spielen eine signifikante Rolle bei der Wirtschaftlichkeit von PV-Anlagen und bei der Reduktion der durch Immobilien verursachten CO2-Emissionen.

Gemeinsam mit andere Branchenvertretern forderte der IT-Anbieter Solarize bereits vermehrt die Standardisierung von Prozessen im Mieterstrom. Große Erwartungen weckt nun das Konzept der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung (GGV). In ihrem Gastbeitrag nehmen Lukas Böhm, Leiter Projektmanagement und Anna Gruner, Senior Marketing und Partner Managerin bei Solarize die GGV unter die Lupe.

Das BMWK kündigte an, dass dieses neue Modell "eine bürokratiearme Lieferung von PV-Strom innerhalb eines Gebäudes" ermöglicht. Bürokratiearm sei es unter anderem deshalb, weil bei der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung die reine PV-Stromlieferung zulässig ist, für den Reststrom aus dem Netz verbleibt jeder Teilnehmer bei seinem eigenen Lieferanten.

Die Vollstromversorgung, wie sie im Mieterstrommodell üblich ist, wird seitens der Anlagenbetreiber häufig als große Hürde empfunden. Die Einführung der GGV wird mit dem Solarpaket I erwartet, zu dem die Ampel-Koalition jüngst ihre Zustimmung erteilt hatte.

Komplexe Bilanzierungsformeln notwendig

"Auch in der GGV ist es erforderlich, die Erzeugung und den Verbrauch eines jeden Teilnehmers viertelstündlich zu erfassen und trennscharf abzurechnen."

Aber: Leider wird sich der Verwaltungsaufwand mit dem neuen Konzept der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung nicht signifikant reduzieren - er wird sich sogar deutlich erhöhen. Auch in der GGV ist es erforderlich, die Erzeugung und den Verbrauch eines jeden Teilnehmers viertelstündlich zu erfassen und trennscharf abzurechnen.

Um das möglich zu machen, sind von Seiten des zuständigen Messstellenbetreibers und Verteilnetzbetreibers Berechnungsformeln notwendig: Da pro Abnehmer vor Ort mindestens eine solche Formel erstellt werden muss, sind Messkonzepte für die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung deutlich komplexer als im Mieterstrommodell.

Nichts für die Wohnungswirtschaft

Zum Vergleich: Im Mieterstrommodell gibt es standardisierte Messkonzepte und eine Formel für beliebig viele Teilnehmer. Entweder um Nichtteilnehmer aus einem physischen Summenzähler “herauszubilanzieren” oder um einen virtuellen Summenzähler aus den Messwerten aller Teilnehmer zu errechnen. In der GGV bedeutet die Vielzahl der notwendigen virtuellen Zählern und Formeln eine hohe Komplexität für Messstellen- und Verteilnetzbetreiber - terminus technicus “komplexe Messlokation”.

"Somit stellt das Konzept der GGV eine enorme Herausforderung für die ohnehin überlasteten Messstellen- und Verteilnetzbetreiber da."

Es liegt auf der Hand, dass Prozesse und Kapazitäten aktuell nicht darauf eingestellt sind, Wechselprozesse und die damit einhergehende notwendige Anpassung der Berechnungsformeln in signifikantem Umfang umzusetzen.

Somit stellt das Konzept der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung eine enorme Herausforderung für die ohnehin überlasteten Messstellen- und Verteilnetzbetreiber dar. Ergo: Für die Wohnungswirtschaft ist die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung aktuell nicht geeignet. Hier sind Mieterstrommodelle eindeutig im Vorteil, insbesondere da die Wechselprozesse durch die aktuell laufende Konsultation der Bundesnetzagentur und des BDEW ab 2025 standardisiert werden sollen.

Sinnvolle Anwendungsfälle für die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir befürworten die standardmäßige Freigabe der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung, denn es gibt sinnvolle Gründe, aus denen keine Mieterstrom-Vollstromversorgung umsetzbar ist: Zum Beispiel im Gewerbe, wenn die Mieter aufgrund bestehender Rahmenstromverträge kein Interesse an einer Vollstromversorgung haben - Stichwort Filialisten, die für hunderte gemieteter Filialen Strom zentral einkaufen.

"In beiden Fällen sind die Kosten für die Allgemeinheit immens und haben jahrelange Hochlaufzeiten."

Aber: Um die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung flächendeckend umsetzen zu können, müssten die Rahmenbedingungen deutlich vereinfacht oder die Ressourcen bei Messstellen- und Verteilnetzbetreibern massiv erhöht werden. Alternativ könnte eine Zentralstelle mit entsprechender Infrastruktur zur digitalisierten Abwicklung von GGV Projekten geschaffen werden. In beiden Fällen sind die Kosten für die Allgemeinheit immens und haben jahrelange Hochlaufzeiten: Gute Mitarbeiter, die komplexe Messkonzepte in Systeme bringen wachsen weder für VNBs noch eine hypotentische “Zentalstelle GGV” auf Bäumen und sind entsprechend schwierig zu finden und teuer.

Mieterstrom ist wirtschaftlich attraktiver als die GGV

Bei Mieterstrommodellen kommen im Vergleich zur GGV zwei zusätzliche Ertragsquellen zum Tragen: Neben dem Mieterstromzuschlag, zu dem in der GGV kein Pendant vorgesehen ist, kann auch auf die Reststromlieferung eine Marge erhoben werden. Zusammengenommen lassen sich so zirka 2 bis 5 ct/kWh zusätzlich erwirtschaften.

Weiterhin verbessert sich die Wirtschaftlichkeit, da pro Kundenanlage nur ein Stromliefervertrag mit dem Versorger geschlossen wird. Damit einher geht die einmalige Zahlung des Grundpreises. In der GGV schließt, wie oben beschrieben, jeder Teilnehmer seinen eigenen Stromliefervertrag und zahlt entsprechend Grundgebühren.

Fazit

"Damit das Mieterstrommodell sein Potenzial voll entfalten kann, gibt es noch einiges zu tun."

Zum jetzigen Zeitpunkt scheint die GGV für den flächendeckenden Einsatz nicht skalierbar. Ganz im Gegensatz zum Mieterstrommodell, das schon heute umfänglich einsetzbar ist: Die vielerorts befürchtete Komplexität der Reststrombeschaffung ist mit der richtigen strategischen Planung durchaus zu bewältigen. Daher halten wir Mieterstrom in der Regel für das bessere Versorgungsmodell: Es ist technisch weniger komplex und bietet überdies mehr Einnahmequellen.

Damit das Mieterstrommodell sein Potenzial voll entfalten kann, gibt es noch einiges zu tun. Um beispielsweise Wechselprozesse für kleinere Mieterstrom-Anbieter zu vereinfachen, wäre ein Prozess hilfreich, mit der Mieterstrombetreiber automatisierte Wechselprozesse – bspw. über unsere Abrechnungs- und Verwaltungsplattform – anstoßen können.

(pfa)