Lieferkettengesetz: Wie Stadtwerke bei der Umsetzung auch beim Kunden punkten
Arved Lüth ist ist Gründer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens ":response". Er arbeitet seit 25 Jahren zu den Themen Beteiligung, industrielle Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Transformation. Er gilt laut eigenen Angaben als einer der europaweit führenden Experten zum Thema Unternehmensverantwortung (CSR) und hat die deutsche Debatte von Beginn an mitgestaltet. Auch kommunale Unternehmen gehören immer wieder zu seinen Kunden, auch in Sachen Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz.
Neben den bereits verpflichteten ganz großen Versorgern haben einige kleine und mittlere Kommunalunternehmen die Anforderungen des Gesetzes bereits freiwillig umgesetzt. Der Grund: Industriekunden legen immer mehr Wert darauf. Im ZfK-Interview erklärt Lüth die wichtigsten Vorgaben des Gesetzes und spricht über Synergien zwischen Nachhaltigkeitsberichterstattung und Lieferkettengesetz. Sein Fazit: Man sollte die Umsetzung als Verbesserungsprozess begreifen und als Chance, die Lieferantenbeziehungen zu stabilisieren. Über dieses Thema wird er am Donnerstag (11. Mai) auch auf der ersten ZfK-Nachhaltigkeitskonferenz sprechen.
In erster Linie geht es um menschenrechtliche Sorgfaltspflichten.
Herr Lüth, seit diesem Jahr gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz für alle Großunternehmen ab 3000 Mitarbeitende. Diese Schwelle soll weiter gesenkt werden. Womit müssen Unternehmen rechnen?
Arved Lüth: Ab 1. Januar 2024 fallen in Deutschland auch Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten in den Geltungsbereich des Gesetzes. Aber bereits ab diesem Jahr wirkt sich das Gesetz auf Unternehmen jeder Größe aus. Denn Unternehmen, die unter das Lieferkettengesetz fallen, werden ihre Geschäftspartner künftig genauer zu Menschenrechtsaspekten beleuchten.
So kann es dazu kommen, dass ein Unternehmenskunde den Vertrag nicht abschließt, wenn er beim Lieferanten ein Risiko für Menschenrechtsverletzungen sieht. In erster Linie geht es im Lieferkettengesetz um menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, aber auch Umwelt- und Gesundheitsrisiken für Beschäftigte in der Lieferkette spielen eine Rolle.
In welchen Bereichen können konkret größere Risiken in Lieferketten für kommunale Unternehmen lauern?
Grundsätzlich geht es darum, ein Bewusstsein zu entwickeln, bei welchen unmittelbaren Zulieferern die größten Risiken bestehen. Da geht es beispielsweise um die Beschaffung von Solartechnik aus China oder um den Einkauf von Kohle und Gas. Gerade hier ist die Auswahl an Partnern nicht immer groß und es bestehen oftmals langfristige Lieferverträge.
Auch bei Textilien und Give-Aways sollte man sehr aufmerksam sein.
Für alle infrastrukturnahen Unternehmen ist es sicherlich wichtig, im Bereich der Bautätigkeiten genau hinzuschauen. Hat das Unternehmen Anhaltspunkte, dass es auch in der weiteren Lieferkette zu Menschenrechtsverstößen kommen kann, muss auch das in der Risikoanalyse berücksichtigt werden. Das gilt zum Beispiel, wenn das Unternehmen mit Subunternehmen zusammenarbeitet, die dann eine Drittfirma beauftragen, die Hungerlöhne zahlt.
Auch bei Textilien sollte man immer sehr aufmerksam sein – ich denke hier an Arbeitskleidung. Ein kleines, aber wichtiges Thema sind auch Give-Aways. Stadtwerke sind ja wichtige Sponsoren und hier ist es zentral, dass die Artikel nicht nur günstig, sondern auch ordentlich produziert sind. Es ist künftig Aufgabe des Einkaufs – ggf. in Zusammenarbeit mit dem Nachhaltigkeitsteam – Streuartikel mit großem Volumen oder Risikopotenzial genauer zu überprüfen.
Welche Pflichten hat ein Stadtwerk, das unter das Lieferkettengesetz fällt, konkret?
Die Pflichten lassen sich in zwei Bereiche unterteilen. Zum einen müssen Unternehmen ihre Risiken für die Verletzung von Menschenrechten analysieren und Gegenmaßnahmen ergreifen. Zum anderen geht es darum, Transparenz zu schaffen, konkret einen Fragebogen der BAFA auszufüllen. Außerdem müssen Unternehmen eine Beschwerdestelle einrichten.
Unternehmen können bei Nichteinhaltung des Gesetzes
mit Bußgeldern von bis zu acht Millionen Euro bestraft werden
Ist das Unternehmen von einer Verletzung der Menschenrechte betroffen oder besteht der Verdacht, ist es wichtig, dass man sich beim jeweiligen Betrieb melden oder beschweren kann. Das muss das Stadtwerk organisieren und sicherstellen. Wenn Unternehmen sich nicht an das Gesetz halten, können sie mit Bußgeldern von bis zu 8 Mio. Euro oder 2 Prozent vom Umsatz bestraft werden oder auch von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden.
Wo liegen die größten Herausforderungen bei der Umsetzung des Lieferkettengesetzes?
Das Thema betrifft am stärksten die Mitarbeitenden im Einkauf. Bisher geht es im Einkauf um den Preis, die Zuverlässigkeit der Lieferanten und die Produktqualität. Jetzt kommt eine neue Regulierung hinzu, die bestimmte Tools und Kenntnisse voraussetzt und zusätzlich einen neuen Katalog an Risiken und Risikoländern der mitbeachtet werden muss.
Was muss konkret in der Organisation und in den Abläufen neu eingeführt werden?
Relativ einfach umzusetzen sind die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens und die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten. Da gibt es auch Synergien und Schnittmengen zu bereits bestehenden Themen wie Compliance und Code of Conduct. Neuland ist hingegen die Pflicht, regelmäßig die Risiken für Menschenrechtsverletzungen bei Zuliefern zu analysieren und ein menschenrechtliches Risikomanagement einzuführen.
Unternehmen sind verpflichtet, Verantwortlichkeiten
für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten festzulegen.
Diese in die bestehenden Prozesse des Einkaufs oder der Compliance zu integrieren, ist nicht so einfach, denn am Ende muss es jemand tun – und auch wissen was zu tun ist. Hier holen sich viele Unternehmen externe Unterstützung. Ist das Ganze einmal installiert, kann das auch ein kleineres Unternehmen recht gut leisten – wir reden in den meisten Fällen von Checklisten.
Neu ist die Tätigkeit eines Menschenrechtsbeauftragten. Der Menschenrechtsbeauftragte überwacht, dass das Unternehmen seine Sorgfaltspflichten überwacht – bei einem kleinen Unternehmen ist das auf keinen Fall eine Vollzeitstelle. Unternehmen sind aber verpflichtet, Verantwortlichkeiten für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten festzulegen.
Die EU diskutiert noch, ob Energieversorung als Risikobranche definiert wird.
Die EU will das Lieferkettengesetz in den kommenden Jahren noch einmal verschärfen. Was ist hier zu erwarten?
Auf EU-Ebene gibt es die sogenannte „Corporate Sustainability Due Dilligence Directive“, die Ende April in den Trilog in Brüssel geht. Dem Entwurf müssen noch das Parlament und der Rat zustimmen. Wenn das beschlossen ist, bleiben den EU-Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit zur Umsetzung in nationales Recht. Dies könnte bis 2025 der Fall sein. Geplant ist eine Umsetzung in Staffeln. Die erste greift für Unternehmen ab 500 Beschäftigten, gilt also für deutlich mehr Unternehmen als das aktuelle deutsche Gesetz.
Die zweite Staffel betrifft Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden aus sogenannten Risikobranchen. Dazu gehören zum Beispiel Öl, Gas, Kohle, alle mineralischen Ressourcen. Das wird viele Stadtwerke mittelbar betreffen, die solche Rohstoffe einkaufen. Die 500-Mitarbeitende-Grenze wird sicher kommen, die genaue Ausgestaltung der 250er-Grenze wird ggfs. noch einmal verhandelt werden. Diskutiert wird beispielsweise, ob Energieversorgung als Risikobranche definiert wird. In dem Fall würden auch schon Versorger ab 250 Beschäftigten unter die EU-Richtlinie fallen.
Haben Sie bereits kommunale Unternehmen bei der Umsetzung der Vorgaben des Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes beraten?
Ja, es gibt einige kleinere und mittlere Unternehmen, die das bereits im vergangenen Jahr freiwillig umgesetzt haben. Der Aufbau und die Implementierung eines Risikomanagements dauern in etwa sechs Monate.
Oft entsteht der Bedarf aus den Anforderungen großer Industriekunden, die von ihrem Energielieferanten einen entsprechenden Nachweis, eine Umweltzertifizierung oder ein bestimmtes Nachhaltigkeits-Rating (häufig Ecovadis oder CDP) verlangen. Hier müssen Unternehmen auch Auskunft über ihre Lieferkette geben.
Gibt es Synergien beispielsweise mit Blick auf den Aufbau einer Nachhaltigkeitsberichterstattung?
Zur neuen Qualität der europäischen Gesetzgebung gehört, dass die verschiedenen EU-Bestimmungen zu Nachhaltigkeit gut aufeinander abgestimmt sind. So greifen die neue Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die SFDR, die EU-Taxonomie und künftig die CSDDD ineinander.
Es gibt auch Synergien zwischen der CSRD und dem deutschen Lieferkettengesetz. Die CSRD enthält in den neuen Standards auch Offenlegungspflichten zu Menschenrechten. Unternehmen müssen berichten, welche möglichen negativen Auswirkungen sie auf Arbeitnehmer in der Lieferkette und auf die lokale Bevölkerung haben und wie sie damit umgehen.
Vorreiter wie Otto oder Vaude sind seit Jahren mit ihren Lieferanten
in Dialogen über Qualität, Sozialstandards und Umweltschutz.
Wie groß ist der Nutzen der Erfüllung dieses Gesetzes für das betroffene Unternehmen?
Man kann das als reine Complianceübung betrachten und das Minimale tun, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Oder man versteht die Umsetzung als Chance, Kunden und Mitarbeitenden gute Argumente zu liefern, um dort zu arbeiten oder eine langfristige Geschäftsbeziehung mit dem Betrieb zu unterhalten. Das ist eine Frage der Philosophie. Ich würde es als Verbesserungsprozess im Unternehmen begreifen, der einen viel größeren Nutzen hat, als bloß ein Gesetz einzuhalten.
Er bringt schließlich Transparenz auch für das Unternehmen selbst und kann die Lieferantenbeziehungen stabilisieren. Vorreiter wie Otto oder Vaude sind seit Jahren mit Ihren Lieferanten in Dialogen über Qualität, Sozialstandards und Umweltschutz. Man bekommt bessere Ergebnisse und kann bei Kunden punkten. Deswegen kann man die Vorgaben ja trotzdem mit Pragmatismus umsetzen, also bei den großen Hotspots beginnen.
Lassen sich die Themen Nachhaltigkeitsberichterstattung und Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz sinnvoll miteinander verbinden?
Man macht diese Berichterstattung in der Regel ja nicht allein, um zu zeigen, wie nachhaltig man ist, sondern um etwas zu bewegen und sich zu verbessern, etwa durch Reduzierung der Treibhausgasemissionen oder bestimmte Ziele im Bereich der Diversität. Ich gehe davon aus, dass künftig auch kleinere Unternehmen ein, zwei Personen für das Thema Nachhaltigkeit einstellen werden, bei denen die Prozesse zusammenlaufen.
Das Thema Lieferkette ist sinnvollerweise nicht komplett aus dem Thema Nachhaltigkeit zu steuern, sondern sollte in dem Bereich angesiedelt sein, der am meisten mit dem Thema Lieferkette zu tun hat, nämlich im Einkauf. Die Funktion eines Menschenrechtsbeauftragten kann aber beispielsweise ein Nachhaltigkeitsmanager mit übernehmen.
(Die Fragen stellte Hans-Peter Hoeren)