Deutschland

Kraftwerksstrategie: Ampel-Insider rechnet mit 60 Milliarden Euro Förderkosten

SPD-Energiepolitiker Hümpfer nennt erstmals eine konkrete Summe. Auch zur Finanzierungsfrage und zu den Verhandlungen mit der EU-Kommission äußert er sich.
19.10.2023

Gaskraftwerke sollen vor allem dann Strom produzieren, wenn Wind- und Solaranlagen zu wenig Elektrizität ins Netz einspeisen. (Symbolbild)

Der Bundestagsabgeordnete und SPD-Energiepolitiker Markus Hümpfer hat erstmals konkretisiert, wie teuer die geplante Kraftwerksstrategie für den deutschen Staat werden könnte. "Wir reden von einem Haushaltsvolumen von rund 60 Milliarden Euro", sagte er auf einer Veranstaltung des Forums für Zukunftsenergien. Das wäre mehr als das Fünffache dessen, was dem Bundeswirtschaftsministerium nächstes Jahr insgesamt im regulären Budget zur Verfügung stehen soll.

Er hoffe, dass der Betrag am Ende nicht so hoch ausfallen werde, sagte Hümpfer. Trotzdem werde sich die EU-Kommission bei derart hohen Summen schon ihre Gedanken machen. Nach eigener Aussage hatte sich der Sozialdemokrat vor Kurzem selbst mit Verantwortlichen in Brüssel getroffen.

24 Gigawatt für neue H2-ready-Kraftwerke

Anfang August hatte das Bundeswirtschaftsministerium angekündigt, insgesamt bis zu 23,8 Gigawatt (GW) an neuen wasserstofffähigen Gaskraftwerken ausschreiben zu wollen. 8,8 GW sind für Kraftwerke gedacht, die von Beginn an mit Wasserstoff betrieben werden.

Dazu sollen maximal weitere 15 GW an Kraftwerken kommen, die vorübergehend Erdgas verbrennen, ehe sie bis spätestens 2035 ans Wasserstoffnetz angeschlossen sind. Eine Einigung der Bundesregierung mit der EU-Kommission über die endgültigen Rahmenbedingungen steht weiterhin aus. (Die ZfK berichtete.)

"Das wird in einer Katastrophe enden"

Dass der Staat die Kraftwerke gleich selbst baut, kommt für Hümpfer nicht infrage. Ein Blick nach Brandenburg und Stuttgart reiche, um zu sehen, dass die Stromerzeugungsanlagen bis 2030 "auf keinen Fall" stehen würden. Und falls doch, würden sie erheblich teurer werden als geplant.

"Deshalb rate ich dringend davon ab", sagte er. "Das wird in einer Katastrophe enden." Mit Brandenburg und Stuttgart meinte der Abgeordnete vermutlich die kostspieligen und weithin gegeißelten Großbauprojekte Berliner Flughafen BER und Stuttgart 21.

Debatte um Kapazitätsmarkt

Hümpfer skizzierte auch, warum sich die Verhandlungen mit der EU-Kommission weiterhin ziehen. Brüssel halte Deutschland vor, einen Kapazitätsmarkt einführen zu wollen, ohne ihn so zu nennen.

Bislang hat sich die Bundesregierung noch nicht öffentlich festgelegt, einen Kapazitätsmarkt anzustreben, um wasserstofffähigen Gaskraftwerken beziehungsweise Wasserstoffkraftwerken eine gesicherte Einnahmequelle zu bieten.

Hümpfer bleibt zuversichtlich

Hümpfer wurde auch gefragt, ob er positiv gestimmt sei, dass die Ampel-Regierung eine Einigung mit der EU-Kommission hinbekommen könnte.

Dies beantwortete der Sozialdemokrat mit einem klaren "Ja".

Offene Finanzierungsfrage

Keine klare Antwort hatte Hümpfer dagegen auf die Frage, wie der Staat die geschätzten 60 Milliarden Euro finanzieren wolle. "Ich bin ganz ehrlich: Wenn jeder hier im Raum eine Milliarde aus seinem Sparbuch herausholt und dem Staat schenkt, dann haben wir auf jeden Fall mehr als 60 [Milliarden] zusammen", scherzte er.

In ernstem Ton fuhr er fort, dass es im Klima- und Transformationsfonds und im Wirtschaftsstabilisierungsfonds "eigentlich kein Geld mehr“ gebe. Über einen Kapazitätsmechanismus werde dagegen nachgedacht.

Linken-Energiepolitiker mit scharfer Kritik

Scharfe Kritik am Vorgehen der Bundesregierung übte der Linken-Energiepolitiker Ralph Lenkert. Deutschland habe sich selbst in den derzeitigen Schlamassel manövriert, sagte er. Vor knapp zehn Jahren sei die Bundesregierung noch gegen Kapazitätsmärkte gewesen. "Jetzt will sie sie haben. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Kommission sagt: Was wollt ihr eigentlich?"

Die Bundesregierung könne ja zugeben, dass sie ohne neue Gaskraftwerke die Versorgungssicherheit nicht garantieren könne, sagte Lenkert. "Das will man [aber auch] nicht." Tatsächlich betonte das Bundeswirtschaftsministerium in der Vergangenheit, dass es die Kraftwerksstrategie vor allem deshalb benötige, um bereits im Jahr 2035 eine nahezu klimaneutrale Stromversorgung zu gewährleisten.

"Nicht so hohe Erwartung" unterboten

Ernüchtert zeigte sich Christoph Reißfelder vom Chemiekonzern Covestro. Obwohl die Bundesregierung seit langem im Mehrebenensystem unterwegs sei, bekomme sie es anders als andere Länder nicht hin, ordentlich mit der Kommission zusammenzuarbeiten, klagte er.

Hans Wolf von Koeller von der Steag-Konzerntochter Iqony resümierte, dass die Bundesregierung noch weiter von einer Lösung entfernt sei, "als ich vor diesem Tag dachte." Dabei sei seine Erwartung ohnehin "nicht so hoch" gewesen.

Fazit des Braunkohle-Verbandschefs

Zuversichtlicher klang Thorsten Diercks, Geschäftsführer des Bundesverbands Braunkohle. Er wisse, dass die Bundesregierung den Kohleausstieg bereits bis 2030 anstrebe, sagte er.

Er gehe aber mit dem Gefühl nach Hause, dass die Braunkohle angesichts all der ungelösten Probleme bei der Kraftwerksstrategie in den 2030er Jahren noch da sein werde. Würden die Kraftwerke in Ostdeutschland nach jetzigem Abschaltplan bis spätestens 2038 am Netz bleiben, "würde dies die 60 Milliarden Euro Aufwand im Übrigen deutlich reduzieren", schloss Diercks. (aba)

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