Deutschland

Nächster Geldtopf wackelt: Sorge vor stark steigenden Strompreisen

Minister Habeck äußert Zweifel, ob die Finanzierung der Energiepreisbremsen noch von der Verfassung gedeckt ist. Wenn nicht, wäre wohl auch eine andere wichtige Maßnahme zur Stabilisierung der Strompreise betroffen.
20.11.2023

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen)

Die Sorge im Bundeswirtschaftsministerium ist groß, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds auch ein zweiter wichtiger Geldtopf wackelt – der Wirtschaftsstabilisierungsfonds, besser bekannt als "Doppelwumms".

"In der Begründung bezieht sich das Urteil, weil es so fundamental gesprochen ist, in der Tat im Grunde auf alle Fonds, die aufgesetzt wurden und die überjährig sind", erklärte Minister Robert Habeck von Bündnis 90/Die Grünen im Interview mit dem "Deutschlandfunk".

Finanzexperten skeptisch

Zu ähnlichen Schlüssen kommen auch mehrere Finanzexperten, die bereits vor der Sachverständigenanhörung im Haushaltsausschusses im Bundestag schriftliche Stellungnahmen einreichten.

So schreibt Dirk Meyer, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Bundeswehr-Universität Hamburg, dass Rückwirkungen auf den Wirtschaftsstabilisierungsfonds "aufgrund einer ähnlichen Konstruktionsweise" naheliegend seien. Auch dieser Geldtopf könne einer gerichtlichen Überprüfung gegebenenfalls nicht Stand halten.

Bundesrechnungshof wird deutlich

Noch deutlicher wird der Bundesrechnungshof. Aus seiner Sicht sind sowohl der Haushalt 2023 als auch der Regierungsentwurf für den Haushalt 2024 "äußerst problematisch". "Gleiches gilt für die Finanzierung des [Wirtschaftsstabilisierungsfonds] in beiden Jahren."

Sollte der Bundestag den Finanzierungsplan des Wirtschaftsstabilisierungsfonds für das Jahr 2024 auf Grundlage des Regierungsentwurfs ohne wesentliche Änderungen im Hin-
blick auf die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts beschließen, hielte er dies für "verfassungsrechtlich höchst risikobehaftet", schreibt der Bundesrechnungshof.

Preisbremsen und Netzentgelte im Fokus

Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds wurde 2020 im Zuge der Corona-Krise erstmals aufgelegt und zwei Jahre später auf dem Höhepunkt der Energiekrise reaktiviert. Bis 2024 wurden Mittel in Höhe von 200 Milliarden Euro eingestellt.

Für Energieversorger könnte ein Einfrieren des Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit Blick auf das nächste Jahr zweierlei heißen: Die Energiepreisbremsen-Verlängerung kommt genauso wenig wie die 5,5 Milliarden Euro starke Abpufferung der Übertragungsnetzentgelte. Insbesondere für Stromkunden könnten die Kosten zu Jahresbeginn 2024 in diesem Szenario – bei Annahme sonst gleich bleibender Kostenbestandteile – spürbar steigen.

Übertragungsnetzentgelte: Verdopplung könnte drohen

Zuerst zu den Übertragungsnetzentgelten: Dank Fonds-Finanzspritze sollten die Entgelte eigentlich nur moderat nach oben klettern – von 3,12 Cent pro Kilowattstunde (kWh) im Mittel in diesem Jahr auf 3,19 Cent 2024. Ohne die Spritze könnten sich die Entgelte dagegen mehr als verdoppeln, wie aus Netzbetreiberkreisen zu hören ist – konkret auf 6,68 Cent pro kWh.

Als Grund für die insgesamt weiter hohen Netzentgelte führen Netzbetreiber das anhaltend hohe Preisniveau auf den Brennstoff- und Strommärkten an. Diese hätten insbesondere Einfluss auf die Kosten für Redispatch, Netzreserve und die Vorhaltung von Regelleistung sowie für die Beschaffung von Verlustenergie.

Großteil der Grundversorgung noch über Bremsenniveau

Nun zu den Energiepreisbremsen: Nach Angaben des Vergleichsportals Check 24 liegen derzeit noch 75 Prozent der Gasgrundversorgungstarife über dem Bremsenniveau von zwölf Cent pro kWh. Im Strombereich sind es 57 Prozent. Zum Jahreswechsel haben etliche Grundversorger Preissenkungen angekündigt, weshalb beide Werte bis dahin noch sinken könnten. So gab etwa Deutschlands größter Energieversorger Eon jüngst bekannt, in zwei Vertriebsgebieten vollständig unter die Strompreisbremse zu gehen.

Geplant war, die Energiepreisbremsen bis März 2024 zu verlängern. Darauf hatten sich die Ampel-Bundestagsfraktionen geeinigt. So wurde es im Bundestag in der Nacht zum Freitag auch beschlossen. Diesen Montag kam auch die bislang fehlende Genehmigung der EU-Kommission. Allerdings kann die Bundesregierung die entsprechende Verordnung noch stoppen, wenn sie der Auffassung ist, dass ihr die Verfassung die Finanzierung der Entlastungsmaßnahme über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds verbietet.

Mehr als 30 Milliarden für Bremsen und Netzentgeltentlastung

Bis Ende Oktober flossen für die Strompreisbremse 11,6 Milliarden Euro. Bei Gas und Wärme waren es 15,9 Milliarden Euro. Für Netzentgeltzuschüsse wurden 3,7 Milliarden Euro abgerufen. Auch diese Zahlungen könnten vor dem Hintergrund des Verfassungsgerichtsurteils rechtswidrig gewesen sein. (aba/dpa)

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