Strom

"Wir brauchen Wasserstoff für die Industrie, nicht für die Rückverstromung"

Fraunhofer-Professor Bruno Burger analysiert im ZfK-Interview den deutschen Strommix im ersten Quartal 2022. Das Osterpaket der Bundesregierung begrüßt er. Allerdings kommt ihm ein Thema zu kurz.
14.04.2022

Bruno Burger, Professor am Fraunhofer ISE und Leiter der Datenplattform Energy-Charts

Herr Burger, seit Jahresanfang sind in Deutschland drei Kernkraftwerke weniger am Netz. Trotzdem ist der Anteil der fossilen Energieträger am deutschen Strommix* im ersten Quartal nicht gewachsen, sondern sogar leicht gesunken. Woran lag das?

Die Monate Januar und Februar waren diesmal sehr windreich. Entsprechend produzierten Windkraftanlagen in beiden Monaten fast so viel Strom wie zu Beginn des bisherigen Rekordjahres 2020. Im März ging der Anteil des Windstroms zwar deutlich zurück. Dafür erzeugten Photovoltaik-Anlagen in diesem Monat so viel Solarstrom wie noch nie zuvor in einem März.

In Summe kann man also sagen, dass im ersten Quartal nicht fossile, sondern erneuerbare Energien die weggefallenen Atomstrommengen ersetzt haben. Insgesamt deckten sie im ersten Quartal 51,3 Prozent der öffentlichen Nettostromerzeugung in Deutschland ab.

Inwiefern lässt sich das Comeback erneuerbarer Energien auch mit dem Zuwachs installierter Leistung erklären?

Sehen wir uns die reinen Zubauzahlen an, hätten wir unter sonst gleichen Rahmenbedingungen wie im Vorjahreszeitraum mit zehn Prozent mehr an Solarstrom rechnen können. Bei Wind wäre es noch deutlich weniger gewesen. Denn dort ist der Ausbau in den vergangenen Jahren ja fast zum Erliegen gekommen.

Tatsächlich aber gingen die Solar- und Windstrommengen im Vergleich zum ersten Quartal 2021 um jeweils fast ein Drittel nach oben. Das heißt: Der höhere Ertrag aus erneuerbaren Energien lässt sich im Wesentlichen auf das günstigere Wetter zurückführen.

Unter den fossilen Energieträgern ist vor allem der Gasanteil im Vergleich zum Vorjahreszeitraum merklich geschrumpft: von 14,3 auf 10,5 Prozent. Hauptgrund dafür dürften die extrem hohen Gaspreise gewesen sein. Was bedeutet das für Bemühungen der Bundespolitik, den Gasanteil im Stromsektor noch weiter zu senken?

Die Spielräume dürften hier bei anhaltend hohen Gaspreisen gering sein. Sehen wir uns beispielsweise den vergangenen Februar an, als der Gasanteil lediglich 7,7 Prozent des deutschen Strommixes betrug. Weniger als das ist wahrscheinlich nicht möglich.

Stromgeführte Gaskraftwerke dürften zu diesem Zeitpunkt aus wirtschaftlichen Gründen schon gar nicht mehr am Netz gewesen sein. Die restlichen Gaskraftwerke sind dagegen wohl nur deshalb weitergelaufen, weil sie zugleich Wärme erzeugten. Generell dürfte gerade im Winter ein Gasanteil von deutlich weniger zehn Prozent am deutschen Strommix zurzeit nur schwer machbar sein.

Wohl auch deshalb dringt die Bundesregierung darauf, die erneuerbaren Energien nun deutlich auszubauen und Strom aus Erdgas perspektivisch so zu ersetzen. Wie bewerten Sie das Osterpaket?

Ich beschäftige mich seit mehr als 30 Jahren mit erneuerbaren Energien und muss sagen, dass ich heilfroh bin. Das ist das, wovon wir schon immer geträumt haben. Endlich nimmt eine Bundesregierung den Klimawandel ernst und treibt den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv voran.

Jetzt geht es darum, dass wir diese ambitionierten Ziele auch umsetzen, dass wir beispielsweise genügend Solarmodule und Wechselrichter bekommen und ausreichend Fachleute haben, die die Anlagen planen und installieren. Kritischer sehe ich die Bedingungen für ausgeförderte Anlagen. Da bleibt zu hoffen, dass die Vergütung gerade für PV-Kleinanlagen attraktiver ausfallen wird, als es aktuell diskutiert wird. Und dann sehe ich noch Nachbesserungsbedarf beim Thema Speicher.

Nämlich?

Ich bin überzeugt davon, dass wir Wasserstoff brauchen – allerdings als Erdgasalternative für die Chemie- oder Metallindustrie und nicht für die Rückverstromung. Zumindest bis 2030 scheint mir das unrealistisch zu sein. Viel wichtiger wären Batterien für den untertägigen Ausgleich von Stromproduktion und -verbrauch.

Sollten wir bis zum Jahr 2030 tatsächlich 215 GW Solarenergie installiert haben, erzeugen diese in der Mittagszeit 150 GW Leistung. Diese Menge muss irgendwohin. Auch Windkraftanlagen dürften nachts in der Regel mehr Strom produzieren, als wir in dieser Zeit verbrauchen.

Am Morgen und Abend dagegen dürfte der Stromverbrauch üblicherweise die produzierte Strommenge aus Wind- und Photovoltaikanlagne deutlich übersteigen. Da drohen uns Stromlücken.

Um künftig die fluktuierende Energieerzeugung mit dem schwankendem Energieverbrauch zu kombinieren, benötigen wir vorerst nicht die Rückverstromung von Wasserstoff, sondern Batterien. Diese Kurzzeitspeicher tauchen im Osterpaket aber leider gar nicht so richtig auf. Allerdings soll im Sommerpaket ein Marktdesign für Batterien geplant sein. Das wäre sicherlich ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Bruno Burger ist Professor am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Er verantwortet die Plattform Energy-Charts, die der Öffentlichkeit Daten unter anderem zur Stromerzeugung, CO2-Emissionen und Börsenstrompreisen zur Verfügung stellt.

*Nettostrom zur öffentlichen Stromversorgung (Daten von Fraunhofer ISE)

Info: Täglich aktualisierte Energiedaten und -grafiken finden Sie auch hier im ZfK-Datenraum, der in Kooperation mit dem Berliner Datenspezialisten Energy Brainpool befüllt wird.